Unsichere Verhältnisse. "Prekarität" und "Prekarisierung" in der Zeitgeschichte

Unsichere Verhältnisse. "Prekarität" und "Prekarisierung" in der Zeitgeschichte

Veranstalter
Lukas Doil, Antonia Gäbler, Till Goßmann, Simon Specht (alle Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam)
Veranstaltungsort
Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e.V.
PLZ
14467
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
23.11.2023 - 24.11.2023
Deadline
23.07.2023
Von
Antonia Gäbler, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Unsichere Verhältnisse. "Prekarität" und "Prekarisierung" in der Zeitgeschichte

Beim 18. Doktorand:innenforum des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam möchten wir den Begriff "Prekarisierung" zum Ausgangspunkt nehmen, um nach (Ko-)Produktionen und Wahrnehmungen von unsicheren Verhältnissen, Formen des Umgangs mit ihnen sowie ihren Auswirkungen auf die Betroffenen in der Zeitgeschichte zu fragen.

Insecure Conditions. "Precarity" and "Precarisation" in Contemporary History

At the 18th Potsdam Postgraduate Forum on Contemporary History, we propose to take the concept of "precarity" as a starting point to inquire into situations of insecure circumstances in contemporary history: (co-)productions and perceptions of them, ways of dealing with them, and their effects on those exposed to them.

Unsichere Verhältnisse. "Prekarität" und "Prekarisierung" in der Zeitgeschichte

Verlängert bis 23.07.2023!

Seit den 1990er-Jahren haben sich die Begriffe „Prekarität“ und „Prekarisierung” zur Beschreibung von wahrgenommener Unsicherheit und Verletzlichkeit etabliert. Ausgehend von Entwicklungen in der Arbeitswelt bezeichnen sie vor allem das Vordringen unsicherer Verhältnisse in bisher für sicher geglaubte Lebensbereiche.1 „Prekarisierung” steht damit auch für eine diskursive Neuvermessung der sozialen Welt: Prekarität wird seit den 1970er-Jahren zunehmend beklagt und sichtbar gemacht, aber gleichzeitig auch in die „westlichen“ Mehrheitsgesellschaften integriert und normalisiert.

Eine zeithistorische Aneignung des Prekarisierungsbegriffs für die Zeitgeschichte und die Untersuchung der mit ihm verbundenen Prozesse kann Gelegenheit bieten, verschiedene Phänomene der Gegenwart in ihrer Vorgeschichte aufeinander zu beziehen und vergleichende Perspektiven zu entwickeln. Dieses Feld reicht von Arbeitsbeziehungen, Identitätsbehauptungen oder Regierungshandeln bis zu den Grundbedingungen des Forschungsprozesses selbst.2 Beim 18. Doktorand:innenforum des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam möchten wir daher den Begriff „Prekarisierung“ zum Ausgangspunkt nehmen, um nach (Ko-)Produktionen und Wahrnehmungen von unsicheren Verhältnissen, Formen des Umgangs mit ihnen sowie ihren Auswirkungen auf die Betroffenen in der Zeitgeschichte zu fragen. Im Anschluss an breit angelegte Definitionen des Prekarisierungsbegriffs3 sind die Beitragenden eingeladen, diesen nicht allein auf Arbeitsverhältnisse und Armutsgefährdung zu beziehen, sondern von ihm ausgehend zu untersuchen, wie Unsicherheit und Volatilität im 20. Jahrhundert in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen produziert, normalisiert, wahrgenommen und bewältigt wurden. Gleichzeitig will das Potsdamer Doktorand:innenforum auch Raum für Diskussionen über den Nutzen von „Prekarisierung“ als analytischer Begriff für die Geschichtswissenschaft und für Historisierungen des damit verbundenen semantischen Feldes bieten. Besonders willkommen sind uns Beiträge, die die Prozesse der Prekarisierung in globaler Perspektive oder mit intersektionalem Blickwinkel zu fassen versuchen.

Die Beiträge können beispielsweise – aber nicht ausschließlich – folgende Gesichtspunkte behandeln:

- Strategien und Praktiken des Umgangs mit und der Subjektivierung von Prekarität in verschiedenen Arenen und Systemen, auch jenseits von üblicherweise als prekär identifizierten Arbeitsverhältnissen
- Lebensverhältnisse an den Rändern der „westlichen“ Wachstums- und Transformationsgesellschaften
- zivilgesellschaftliche, politische, mediale und wissenschaftliche Beobachtungen und Thematisierungen prekärer Verhältnisse
- globale Kontexte von Prekarität, (post-)migrantische und intersektionale Perspektiven, informelle Arbeit im globalen Süden, Zusammenhang von Prekarität und Globalisierung
- Wer spricht für das „Prekariat“? Wie schreibt man eine (globale) Geschichte der Prekarität?
- Prekarität und Zeit: Unsicherheit, Verletzlichkeit und Kurzfristigkeit als Erosion moderner Zeitregime? Prekarität als Gegenwartsdiagnose und Epochensignatur
- Prekarität/Prekarisierung als analytischer Begriff
- Historisierung des Begriffsfelds Prekär, Prekarisierung, Prekarität: Transfers, verwandte Begriffe, Verwissenschaftlichung und/oder Popularisierung

Beiträge zu Panels (ca. 20 Minuten, mit anschließender gemeinsamer Diskussion) können von Promovierenden der Geschichtswissenschaft sowie Masterabsolvent:innen, die ein Promotionsprojekt vorbereiten, und Promovierten, die ihre Promotion vor kurzem abgeschlossen haben, eingereicht werden. Referent:innen aus anderen Disziplinen sind ebenfalls herzlich willkommen, sofern ihre Beiträge einen Bezug zu geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen und/oder Methoden aufweisen. Beitragsvorschläge von maximal 400 Wörtern können zusammen mit einem tabellarischen Lebenslauf in einem Dokument bis zum 30. Juni 2023 an doktorandenforum@zzf-potsdam.de gesendet werden. Die Tagungssprache ist Deutsch; Beiträge können ebenfalls auf Englisch eingereicht und präsentiert werden.

Das 18. Potsdamer Doktorand:innenforum zur Zeitgeschichte wird am 23. und 24. November 2023 am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam stattfinden. Reise- und Übernachtungskosten können übernommen werden.

Anmerkungen:
1 Eckart Conze, Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009, S. 932f.
2 Vgl. z.B. Robert Castel / Klaus Dörre (Hrsg.), Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2009; Mona Motakef, Prekarisierung, Bielefeld 2015; Amrei Bahr / Kristin Eichhorn / Sebastian Kubon, #IchbinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, Berlin 2022.
3 Vgl. z.B. Guy Standing, The Precariat. The New Dangerous Class, London 2011 oder Isabell Lorey, Die Regierung der Prekären, Wien 2012.

Insecure Conditions. "Precarity" and "Precarisation" in Contemporary History

CFP-Extended until 23/07/2023!

Since the 1990ies, “precarity” and, in some languages, “precarisation”, have established themselves as terms to describe perceived insecurities and vulnerability. Originating in developments in the workplace, they are used most notably to denote the spread of insecure conditions into spheres of life that were previously deemed secure.1 “Precarity” thus also marks a discursive realignment of the social world: Since the 1970ies, precarious conditions have been increasingly deplored and made visible, but at the same time, they have also been normalized and integrated into the lives of the majority populations of “western” societies.

Taking up the concept of precarity from the perspective of contemporary history and investigating processes linked to it can enable us to connect various contemporary phenomena and their histories with each other and to put them into comparative perspective. This field extends from labour relations, identity assertions or governance to the very conditions of academic research itself.2 Therefore, at the 18th Potsdam Postgraduate Forum on Contemporary History, we propose to take the concept of “precarity” as a starting point to inquire into situations of insecure circumstances in contemporary history: (co-)productions and perceptions of them, ways of dealing with them, and their effects on those exposed to them. Following broad definitions of precarity,3 we encourage participants to apply this concept not only to labour relations and poverty, but to use it to explore how insecurity and volatility were produced, normalized, perceived and dealt with in various spheres of society in the twentieth century. At the same time, we also want to provide space for discussing the use value of “precarity” as an analytical term for the discipline of history and for historicizing the concept and its semantic field. Contributions that try to approach processes of precarisation from a global angle or from intersectional perspectives are especially welcome.

The contributions can address, but are not limited to, the following topics:

- Strategies and practices of coping with and subjectification of precarity in different spaces and systems, including beyond those types of working conditions that are typically identified as precarious
- Living conditions at the margins of “western” boom and transformation societies
- precarious conditions being perceived and addressed in civil society, politics, media, and academia
- Global contexts of precarity, (post-)migrant and intersectional perspectives, informal labour in the Global South, connection between precarity and globalization
- Who is speaking for the “precariat”? How can you write a (global) history of precarity?
- Precarity and time: insecurity, vulnerability and the lack of long-term perspectives as part of an erosion of modern temporal regimes? Precarity as diagnosis of the present time
- Precarity/precarisation as analytical concepts
- Historicizing the semantic field of “precarious”, “precarisation”, and “precarity”: transfers, adjacent and related concepts, trends of scientization and/or popularization

Contributions to panels (approx. 20 minutes, followed by a joint discussion) can be submitted by PhD students in history as well as graduates who are currently preparing a PhD project and doctoral graduates who have recently completed their PhD. Participants from other disciplines are also most welcome if their contributions are related to historical questions and/or methods. Please send your proposals of 400 words or less, accompanied by a short CV, to doktorandenforum@zzf-potsdam.de in one document. The deadline for submitting proposals is 30 June 2023. The conference will be held in German; however, contributions can also be submitted and presented in English.

The 18th Potsdam Postgraduate Forum on Contemporary History will take place at the Centre for Contemporary History (ZZF) in Potsdam on 23–24 November 2023. Participants will be reimbursed for costs of travel and accommodation.

Notes:
1 Cf. Eckart Conze, Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009, pp. 932f.
2 Cf. e.G. Robert Castel, Klaus Dörre (eds.), Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2009; Mona Motakef, Prekarisierung, Bielefeld 2015; Amrei Bahr / Kristin Eichhorn / Sebastian Kubon, #IchbinHanna. Prekäre Wissenschaft in Deutschland, Berlin 2022.
3 Cf. e.G. Guy Standing, The Precariat. The New Dangerous Class, London 2011 or Isabell Lorey, Die Regierung der Prekären, Wien 2012.

Kontakt

Lukas Doil, Antonia Gäbler, Till Goßmann, Simon Specht

Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e. V.
Am Neuen Markt 1
14467 Potsdam

E-Mail: doktorandenforum@zzf-potsdam.de

Redaktion
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